L. Lenggenhager: Ruling Nature, Controlling People

Cover
Titel
Ruling Nature, Controlling People. Nature Conservation, Development and War in North-Eastern Namibia since the 1920s


Autor(en)
Lenggenhager, Luregn
Reihe
Basel Namibia Studies Series 19
Erschienen
Basel 2018: Basler Afrika Bibliographien
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
CHF 32.00
URL
von
Matthias Häussler

Staaten streben nach Wissen über das von ihnen beanspruchte Territorium und dessen Bewohner. Solches Herrschaftswissen bildet die unerlässliche Grundlage ihres Dominanzanspruchs, weil es die effiziente Aneignung von Ressourcen wie Abgaben und ‹Menschenmaterial› erst ermöglicht. Teil dieser Bestrebungen sind immer auch Massnahmen, Territorium und Bevölkerung «lesbar» zu machen (James C. Scott), was nicht nur heisst, bestehende Verhältnisse getreu abzubilden, sondern den eigenen Zwecken gemäss umzuformen, wenn nicht gar neu zu erschaffen. Menschheitsgeschichtlich schloss dies regelmässig massive Eingriffe in die Natur ein – ein Punkt, den hergebrachte Abhandlungen zur Staatsentstehung gerne vernachlässigen. Luregn Lenggenhagers 2017 am Historischen Seminar der Universität Zürich eingereichte und 2018 in den Basler Afrika Bibliographien erschienene Dissertation beleuchtet ebendiesen wichtigen Aspekt. Ihr Augenmerk liegt auf dem Zusammenhang von Naturschutz, von Narrativen der «Entwicklung» sowie der «Modernisierung» und (kriegerischer) Gewalt im nordöstlichen Namibia. Sie liefert so einen eindrucksvollen historischen Längsschnitt, der von der Anfangszeit der südafrikanischen Okkupation bis weit über die Unabhängigkeit Namibias 1990 hinaus reicht.

Im Fokus steht der Caprivizipfel – ein koloniales Machwerk aus der Zeit des «Scramble for Africa», durch welches sich das Deutsche Reich im Rahmen des «Helgoland-Sansibar-Vertrages» den Zugang zum Sambesi zu sichern und eine Verbindung zu den ostafrikanischen Besitzungen herzustellen suchte. Aufgrund der exponierten Lage zwischen Angola, Sambia und Botswana wurde der Caprivizipfel von Südafrika als Operationsbasis zur Destabilisierung der Nachbarstaaten verwendet; er diente ‹Rebellen› unterschiedlicher Provenienz als Rückzugsgebiet und wurde noch in der jüngeren Vergangenheit von separatistischen Bestrebungen und dem angolanischen Bürgerkrieg erschüttert. Am Caprivizipfel lässt sich nicht nur das Verhältnis von ‹Zentrum› und ‹Peripherie› innerhalb der Architektonik des südafrikanischen Staates und des unabhängigen Namibias untersuchen, sondern auch eine suprastaatliche Region im südlichen Afrika in den Blick nehmen, die von internationalen wie lokalen Akteuren geprägt ist. Derlei komplexe Zusammenhänge erschöpfend darzustellen, kann ein Buch von 266 Seiten kaum leisten; durch seinen thematischen Fokus liefert es gleichwohl viele wertvolle Einsichten.

Die Schrift gliedert sich in vier Kapitel, welche unter je unterschiedlichen inhaltlichen Aspekten die Entwicklung des Naturschutzes chronologisch nachzeichnen: «Nature and Development before 1965», «Nature an War (1965–1980s)», «Wildlife and War (1975–1990)» und «Nature and Peace?». Die folgende Zusammenfassung bleibt notgedrungen selektiv und holzschnittartig.

Südafrika scheute grössere Investitionen und suchte nach Wegen, dieses Gebiet in Wert zu setzen, um die Kosten seiner Beherrschung möglichst wieder hereinzuholen (S. 86 f.). Fischerei, Holzwirtschaft sowie schliesslich Jagd und Tourismus wurden dabei als besonders aussichtsreich erachtet. Wie der Verfasser zeigt, dienten die dabei entstehenden Erhebungen, Karten und Massnahmen wie die Anlage von Schneisen immer auch militärischen Zwecken, wenn sie nicht gar auf Militärs selbst zurückgingen. Naturschutz und Sicherheitspolitik resp. Kriegführung gingen stets Hand in Hand. Auch Narrative der «Entwicklung» der scheinbar rückständigen lokalen Bevölkerung wurden von Anfang an bemüht, zumal diese eine wichtige legitimatorische Funktion des Apartheid-Regimes nach innen wie nach aussen einnahmen (S. 33 f.). Doch wer annimmt, dass das seit 1990 unabhängige Namibia einen klaren Bruch mit den vorgängigen Praktiken und Narrativen vollzog, sieht sich getäuscht – und hierin liegt eine weitere wichtige Einsicht dieses Buches (S. 228). Auch der unabhängige Staat ist bestrebt, die ‹Peripherie› zu durchdringen und seinen Interessen dienstbar zu machen (S. 203–209). Freilich gehorcht er nun, wie der Verfasser zeigt, den Imperativen des «Neo-Liberalismus». Das Geschehen wird zunehmend von parastaatlichen Akteuren wie NGOs und privaten Sicherheitsfirmen bestimmt. Auch sie bedienen sich der immer gleichen Narrative der «Entwicklung» und betreiben eine Militarisierung des Naturschutzes (S. 218–220). Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Natur vollends zur Ware geraten ist (S. 188–192), und zwar für eine globale Elite von Trophäenjägern, die ein ‹unberührtes› , wildreiches Afrika sucht (S. 229). Ungeachtet der offiziellen Rhetorik reproduzierten sich so die überkommenen Machtverhältnisse und Ungleichheiten, zumal nicht geklärt ist, ob und inwiefern die lokale Bevölkerung vom Tourismus-Boom profitiert (S. 193).

Lenggenhagers Arbeit stützt sich auf Sekundärliteratur, Archivbestände und selbst geführte Interviews. Interessanterweise nimmt das Buch desto mehr an Fahrt auf, je mehr es sich auf die Interviews stützt. Diese schliessen auch eine wichtige Lücke, da die Archive noch wenig Material zur jüngsten Vergangenheit bieten. Umso bedauerlicher ist es, dass der Verfasser der Leserschaft die verwendeten Interviews (oder wenigstens relevante Passagen) nicht zugänglich macht. In den Sozialwissenschaften ist dies gang und gäbe; anders ist wissenschaftliche Überprüfbarkeit nicht zu gewährleisten.

Dessen ungeachtet liefert der Verfasser einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des südlichen Afrikas, Südafrikas und vor allem Namibias, gerade weil er sich nicht von vermeintlichen Zäsuren oder internationalen Grenzziehungen einengen lässt. Insbesondere mit Blick auf den Themenkomplex Naturschutz, als dessen Vorreiter sich Südafrika immer empfand, dürfte diese Schrift angesichts der ansonsten prekären Quellenlage eine unverzichtbare Referenz bilden, und zwar umso mehr, als der Verfasser ein geschärftes Problembewusstsein für aktuelle Debatten und Entwicklungen an den Tag legt.

Zitierweise:
Häussler, Matthias: Rezension zu: Lenggenhager, Luregn: Ruling Nature, Controlling People. Nature Conservation, Development and War in North-Eastern Namibia since the 1920s, Basel 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 564-566. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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